1w6 - Ein Würfel System - Einfach saubere, freie Rollenspiel-Regeln

Interessante Charaktere darstellen

Bild von Drak

thief female1Charaktere als SL so darstellen, dass sie den SpielerInnen in Erinnerung bleiben. Teil 0: Grundlagen, Einschränkungen und Vorteile gegenüber anderen Medien.

Einleitung

Als SpielleiterInnen stehen wir in jeder einzelnen Spielrunde vor der Herausforderung, eine oft größere Anzahl an verschiedenen NSCs so darzustellen, dass die SpielerInnen sie unterscheiden und sich später an sie erinnern können – spätestens wenn die NSCs das nächste mal auftauchen.

Um das Problem anzugehen, habe ich mich bisher meist auf mein Gefühl verlassen und das Bild der Charaktere in meiner Vorstellung entstehen lassen. Das hat oft geklappt, und einige der Charaktere wurden auch für die SpielerInnen lebendig (zumindest hatte ich den Eindruck, wenn sie später von ihnen gesprochen haben). Gleichzeitig gab es aber auch viele Charaktere, die farblos blieben, obwohl sie viel Hintergrund hatten. Und wenn ich im Stress war und nicht viel Zeit hatte, Charaktere vorzubereiten, wurden die NSCs gerne mal zu Abziehbildern von Charakteren, die ich früher erschaffen hatte – oder sie hatten so wenig Eigenleben, dass ich selbst sie an zwei verschiedenen Spielabenden unterschiedlich gespielt habe. Dann waren sie „eine andere typische Wache“ oder „halt jemand, den wir am Straßenrand gesehen haben“, und das Spiel verlor einen Gutteil seiner Kontinuität (was die NSCs angeht).

Darum habe ich mich mit meinem Vater zusammengesetzt und ihn um Tipps gebeten (er hat früher Theater gespielt und ist heute Sonderschullehrer). Seine Tipps und Ideen versuche ich aufzuarbeiten und in eine Form zu bringen, mit der ich für neue NSCs leichter einen Weg finden kann, sie darzustellen, und die NSCs gleichzeitig erinnerungswürdiger machen kann.

In diesem nullten Artikel gehe ich auf die grundlegenden Möglichkeiten ein, um dann in späteren Teilen Methoden und Beispiele für die verschiedenen Möglichkeiten der Darstellung auszuarbeiten.

Als erstes sollten wir dabei über die Einschränkungen nachdenken, denen wir als SpielleiterInnen unterliegen.

Einschränkungen der SL im Papier-und-Bleistift Spiel

Für die Darstellung von Charakteren im Theater, in Filmen und in Büchern gibt es bereits eine Fülle von Material, und vieles davon können wir nutzen. Doch wir haben im Rollenspiel eigene Vorraussetzungen, Möglichkeiten und Einschränkungen.

  1. Die offensichtlichste davon ist, dass wir am Tisch sitzen. Beinhaltung, Gangart, Bewegungsmuster, seitlich stehen, auf die Knie sinken und ähnliches stehen uns nicht zur Verfügung. Stattdessen haben wir unsere Sitzhaltung, die deutlich eingeschränkter ist. Zum Beispiel können wir nicht einfach nervös auf-und-ab gehen.

  2. Eine weitere Einschränkung ist, dass jede Darstellungsmethode, die wir nutzen, vielseitig genug sein muss, um viele verschiedene Emotionen darzustellen, denn wir stellen keine Personen mit festem Skript dar, für die wir nur ein feststehendes Repertoire an Gefühlen rüberbringen wollen. Selbst der kleinste unserer Nebencharaktere muss in der Lage sein, Angst, Freude, Trauer und vieles mehr zu zeigen, denn wir wissen nie, was unsere Spielerinnen mit ihm anstellen werden. Entsprechend können wir keine Darstellung nehmen, die nur für ein paar wenige Gefühle funktioniert. Selbst unser stets kichernder Spinner muss stille Momente haben können, und diese Flexibilität müssen wir erhalten.

    Und das wäre auch grundlegend noch einfach, wenn nicht noch eine weitere Komplexität dazukommen würde:

  3. Wir stellen nicht nur einen Charakter dar, sondern viele – oft in schneller Folge. Sie alle müssen nicht nur voneinender unterscheidbar sein, sondern auch von unserer SL-Rolle und unserer Normalrolle. Als Spielleiterin sind wir eine Autorität mit Wissen über die gesamte Welt und den Hintergrund, als wir selbst dagegen die Freundin, die einen freundlichen Kommentar zur Szene gibt. Daher müssen unsere Spielerinnen erkennen können, wann wir als SL sprechen und unsere Worte und Handlungen die Welt der SCs formen, und wann wir einfach als normaler Mensch reden.

  4. Dazu kommt, dass wir binnen Augenblicken wechseln können müssen. Gerade bei hektischen Charakteren, müssen wir sofort in den Charakter springen können, da jede noch so kleine Verzögerung das Bild des Charakters schwächt (zumindest, wenn wir nicht sofort eine schlüssige Begründung zur Hand haben, warum der Charakter nicht gleich reagiert hat). Bei langsameren Charakteren haben wir etwas mehr Zeit, weil wir Verzögerungen nutzen können, um den Charakter stärker hervortreten zu lassen. Zum Beispiel hatte ich in meiner letzen Runde einen Buchhalter, der immer erst aufschrieb, was er sagen würde, bevor er den Mund öffnete. Bei ihm hatte ich genügend Zeit, mir zu überlagen, was er sagen würde (ihr glaubt nicht wirklich, dass ich das wusste, bevor ich angefangen habe, sein Aufschreiben anzudeuten, oder? :) ). Ich denke, er blieb stark in Erinnerung.

  5. Schlussendlich muss das, was wir zur Darstellung brauchen, günstig zu haben sein. Ein Schauspieler hat Kostüm und Maske, um auch visuell in die Rolle zu schlüpfen, und die Kosten für beides können zumindest in Filmen leicht mehrere tausend Euro kosten. Selbst simple Dinge wie ein passendes Schwert oder auch nur ein passender Kugelschreiber werden teuer, wenn wir an einem Spielabend 10 Charaktere verkörpern, von denen 6 nie wieder auftauchen. Und zusätzlich haben wir beschränkte Vorbereitungszeit. D.h. wir können nicht für jeden Nebencharakter in der Stadt nach passenden Spielzeugen suchen.

Punkt 1 bis 3 bedeuten dabei, dass jede Darstellungsmethode einerseits flexibel genug sein muss, um eine große Bandbreite an Emotionen zeigen zu können, andererseits aber auch von jedem anderen Charakter in der Szene unterscheidbar sein muss, bei wichtigen Charakteren sogar während des Spielabends oder gar der Kampagne. Und wir haben dafür nur die Mittel, die wir im Sitzen nutzen können und die gleichzeitig schnell einsetzbar und nicht allzu teuer sind – weder in reinen Geldkosten, noch im Vorbereitungsaufwand.

Aber natürlich steht nicht alles gegen uns.

Im Vergleich zu den vielgeschundenen Schauspielern haben wir nämlich auch einige Vorteile auf unserer Seite; wenn das nicht so wäre, könnten Rollenspielrunden nie die wahnsinnige Intensität erreichen, die wir an den wirklich gut laufenden Abenden erleben.

Vorteile der SL gegenüber anderen Arten der Darstellung

Im Vergleich zu Theater- und Filmschauspielern, Autoren Spieleherstellern haben wir einige zusätzliche Asse im Ärmel, durch die wir unsere NSCs erinnerungswürdig machen können, die in anderen Medien nicht oder nur beschränkt zur Verfügung stehen.

  1. Im Gegensatz zu Schauspielern können wir auf den Trick von Autoren zurückgreifen und einfach etwas sagen wie: „Euer Mündel öffnet zitternd die Tür und…“. Danach müssen wir den NSC nur noch gegenüber den anderen abheben und im Gedächtnis verankern. Er muss nicht alleine mit seiner ersten Handlung erkennbar sein (auch wenn es toll ist, wenn das klappt!).

  2. Dadurch müssen wir ihn auch nur gegenüber den anderen aktiven Charakteren abheben. Wir müssen keine vollständigen Kontraste gegenüber allen bekannten Charakteren gleichzeitig liefern, weil wir Name, Aussehen und Hintergrund direkt nennen können. Und sollte das nicht reichen, können wir noch auf Off-Play-Infos zurückgreifen („Erinnert ihr euch noch an den Dracksack von der Raumptroullie, der euer Schiff gestoppt hat und aus euch herausfoltern wollte, wo eure Station liegt? Ihr seht sein Gesicht wieder, direkt hinter der auffliegenden Tür der Stationsbar! Aber diesmal seid ihr nicht alleine, und ihr habt eure Blaster zur Hand…“).

  3. Und das bringt uns indirekt zu dem Vorteil, den so gut wie kein anderes Medium bietet: Wir können Spieler und Charaktere direkt anspielen. Wenn ein Charakter Sklavenhaltung verabscheut, wird er sich an den Sklavenhalter erinnern. Auf die Art brauchen wir nur noch ein Merkmal, mit dem er ihn wiedererkennen kann, aber kein eigenes mehr, durch das er sich direkt in den NSC erinnert. Aus dem gleichen Grund wird sich eine Spielerin, die für Frauenrechte kämpft, ebenso an die gehorsame Prinzessin erinnern, die immer ja und Amen sagt, wie an die Anführerin einer Diebesbande, vor der alle Männer kuschen und an den charismatischen Ritter, die die Bande ausräuchern will, um des Herz der Prinzessin zu erobern (allerdings müssen wir aufpassen, dass wir nicht ständig die gleichen Punkte aufgreifen, sondern alle SCs und SpielerInnen einbinden).

  4. Und anders als Bücher können wir kleine Gimmicks und Musik nutzen, die einen Charakter identifizieren.

Auf die Art haben wir weitaus effektivere Möglichkeiten, die SpielerInnen zu erreichen, als sie andere Medien bieten.

Ein Punkt bleibt aber noch offen: Wie stereotyp muss ein Charakter sein, um ihn leicht wiedererkennen zu können, und wie komplex muss er sein, um realistisch zu wirken?

Kontroverse: Wie realistisch oder überzogen?

Die Frage wird je nach Gruppe und Spielsystem andere Antworten haben, aber ein paar Grundlagen dürften für die meisten gelten:

  • Wenn ein Charakter zum ersten Mal auftritt sollten nur ein paar Merkmale gezeigt werden. Gerade bei zentralen Charakteren ist es wichtig, dass sie stark eingeführt werden. Das kann leicht überzogen wirken, wenn es aber zu schwach ist, fehlt der Ankerpunkt für die Erinnerung. Daher ist etwas übertreiben gerade am Anfang oft nützlich.

  • Kanonenfutter/Komparsen brauchen meist nicht mehr als ihre Grundmerkmale. Bei ihnen ist es auch nicht so wichtig, dass die Merkmale flexibel genug sind, um alle verschieden Stimmungen darzustellen. Wenn der Charakter eh nur rumbrüllen wird, können wir das Rumbrüllen auch gleich als Merkmal verwenden.

  • Nebencharaktere und Hauptpersonen dagegen brauchen flexiblere Erkennungsmerkmale. Hier eignen sich Ticks und die Grundhaltung sehr gut. Auch wenn jemand immer gerade sitzt und sehr präzise spricht (Erkennungsmerkmale) können sich seine Kopfhaltung und Gestik deutlich ändern und die verschiedensten Gefühle ausdrücken. Wenn er plötzlich immer wieder unauffällig hinter sich schaut, erhält das sein Erkennungsmerkmal. Ein kleines Stocken in der Stimme würde dagegen zwar noch nicht die Präzision der Sprache zerstören, wäre aber ein deutliches Zeichen, dass er an seinen Grenzen ist (weil seine Erkennungsmerkmale bröckeln). Im Gegensatz dazu kann ein Charakter, der durch Brüllen charakterisiert ist, nur wenig anderes zeigen als Wut, ohne sein Erkennungsmerkmal in Frage zu stellen – und damit seine seine Identität zu ändern.

Eine zentrale Frage ist dabei außerdem, ab wann ein Charakter comichaft und damit unglaubwürdig wird. Dieser Effekt könnte zum Beispiel leicht auftreten, wenn sein Erkennungsmerkmal wichtiger wird als das, was er gerade tut. Wenn der NSC die SCs auf der Straße anbrüllt, „wo geht es hier zur Kirche!?!“, dann wirkt das komisch und erscheint leicht unpassend und unecht (es sei denn, es ist mehr dahinter, das Teil des Abenteuers wird). Wenn er sie dagegen auf dem Exerzierplatz anbrüllt, passt das zur Situation. Und wenn er wichtiger wird, kannst du ihm immernoch mehr Merkmale geben, die du Stück für Stück einbringen kannst (z.B. in persönlichen Gesprächen zwischen NSC und einer SC; wodurch sich dann die Rolle des NSC ändert).

Und damit können wir den nullten Teil abschließen.

Wie weiter?

Nächste Woche kommen wir dann zum ersten Teil der Praxis: Wie können wir Charaktere so aufschreiben, dass wir mit einem Blick wieder in sie hinein finden?

Ich hoffe die Grundlagen waren interessant für dich und würde mich sehr über Kommentare freuen!


  1. Das Bild thief female wurde von Kathrin Polikeit für Battle for Wesnoth gezeichnet. 

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Bild von PiHalbe

Urlaub

Den Artikel nehme ich mir gleich mal zum Lesen in den Urlaub mit. Rückmeldung folgt dann entsprechend. Bin aber schon gespannt auf die Serie.

Bild von Drak

Viel Spaß beim Lesen! Ich

Viel Spaß beim Lesen! Ich freu’ mich schon auf deine Rückmeldung.

Interessante Aspekte

Sehr guter nullter Beitrag für ein grundlegendes Thema der Spielleitung. Die wichtigen Punkte werden gut zusammengefasst. Schon diese Einleitung halte ich für sehr nützlich bei der Darstellung von NSCs

Ich freue mich auf die weiteren Beiträge.

Bild von Drak

Freut mich, dass er dir

Freut mich, dass er dir gefällt!

Ich hoffe die anderen gefallen dir auch :)

In Teil 1 geht es z.B. um die verschiedenen Möglichkeiten zur Darstellung, und Teil 2 beginnt die Detailarbeit mit Beispielen zu Mimik, Gestik u.ä..

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„Eine interessante Denk­richtung, die sich für mich als altem DSA Spieler fast schon ungewohnt schlank anfühlt.“
— Philipp von Phönixbanner
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