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Sexualität im Rollenspiel

Bild von Drak

Bound by Love1 Vor zwei Jahren habe ich nach einer sehr intensiven Runde einen Text zu Sexualität im Rollenspiel geschrieben, aber nicht auf 1w6 veröffentlicht. Vor zwei Wochen hat mich eine Spielerin in meiner Runde wieder daran erinnert, nachdem eine weitere unserer Runden das Thema aufgegriffen hat. Ich habe den Text überarbeitet und um zwei Jahre Erfahrung erweitert.

Update: Melem hat einen Kommentar zu diesem Text geschrieben und mir erlaubt, ihn auch hier veröffentlichen: Sexualität, Macht, Verant­­wortung

Update: Ein weiterer Text zum Thema: Männliche Lust, immernoch ein Tabu

Beklemmende Intensität erleben

Ich denke, dass Sexuelles immer eine besondere Situation ist - nicht unbedingt weil ich es theoretisch begründen könnte, sondern weil ich vor zweieinhalb Wochen eine Runde geleitet habe, in der ich bewusst heftige Anspielungen reingebracht habe. Das Spiel hatte eine ganz andere Intensität als sonstige Runden, aber auch eine starke Brisanz: Wir waren ständig an verschiedenen emotionalen Grenzen.

Die Charaktere sollten eine Herrenrunde infiltrieren, die ihre Frauen kauft und auch sonst im Sklavenhandel aktiv ist. Interessanterweise hat der männliche Spieler eine Frau gespielt und die weibliche Spielerin einen Mann (sie sind im echten Leben zusammen). Ihre Charaktere sind als Paar mit falscher Identität in die Runde gegangen (angeblich gehörten sie dazu) und durften so lange nicht aus der Rolle fallen, bis sie es geschafft hatten, einer Doppelagentin in dieser Runde eine Black-Box auszuhändigen.

Ich habe ihnen vorher gesagt, dass das Konzept recht heftig werden könnte und explizit gefragt, welche Grenzen wir setzen wollen (alleine das anzusprechen war schon ein komisches Gefühl - beklemmend). Das Ergebnis war „keine Vergewaltigung“. Ich habe das relativ weit ausgelegt als „keine auch nur entfernt mit Sexualität verbundenen Situationen, in denen es keine Fluchtmöglichkeit gibt - weder sozial noch physisch begrenzt“. Will heißen: Sie konnten immer weggehen.

Es kam dann noch nicht mal zu irgendwelchen sexuellen Handlungen im Spiel, aber alleine die Beschreibung wie sich eine Sklavin dem Charakter der Spielerin angeboten hat - und wie der Charakter sich herausgewunden hat, ohne aus der Rolle zu fallen - hatten eine ganz andere Intensität als ein Kampf.

Und es ist etwas völlig anderes, Orks zu beschreiben, die die Charaktere verstümmeln wollen, als chauvinistische Arschlöcher zu spielen, die dem Charakter erzählen, dass er seine Frau nicht genug unter Kontrolle hat und ihm anbieten, ihm eine Gehorsamere zu besorgen - oder davon schwärmen, dass ihre Sklaven einen völlig natürlichen Gehorsam haben.

Es gibt dabei keine so starke Abstraktionsebene, hinter der ich mich als SL verstecken kann. Ich bin für die kurze Zeit ein chauvinistisches Arschloch, und damit müssen sowohl ich als auch die Spieler klarkommen. Und wir müssen diese Maske auch wieder loswerden.

Die Runde war als bewusste Konfrontation mit dem Thema geplant - auch weil ich wusste, dass der Spieler und die Spielerin untereinander immer mal wieder Feminismusdiskussionen haben. Die Runde stellte die Frage „wie reagiert ihr, wenn ihr offen mit einer sexistischen, frauenfeindlichen Gruppe konfrontiert seid und nicht direkt auf Konfrontationskurs gehen könnt“. Effektiv eine Selbsterfahrungsrunde, um die eigenen Reaktionen auszuloten. Aber selbst mit dieser ganz klaren Grundausrichtung hätte ich die Runde vermutlich nicht geleitet, wenn ich nicht zumindest den Spieler seit über 10 Jahren kennen würde und mir sicher gewesen wäre, dass die Spielerin damit umgehen kann.

In einer Runde mit Leuten, die ich nicht so gut kenne - und die mich nicht so gut kennen - hätte ich das nicht gewagt, weil ich da nicht hätte sicher sein können, dass ich die Masken in der Vorstellung der anderen wieder loswerde. Auch so glaube ich, dass einige Spuren übrig geblieben sind und mich die beiden jetzt ein bisschen anders sehen als vorher - und ich bin nicht immer sicher, ob mir das recht ist. Bestimmte Aspekte von mir kennen sie besser als meine Frau.

Vorbilder, Tabuisierung und Erkundung

Ich denke, auch wenn die Runde ein extremes Beispiel war, kommen diese Schwierigkeiten bei jedem Ausspielen von Sexualität zum tragen. Wir sind viel direkter in der Handlung als bei Kämpfen.

Vielleicht liegt das allerdings auch daran, dass wir von Sexualität viel weniger vielfältige Vorbilder aus den Medien haben. Ich kenne dabei grundlegend nur 4:

  • Hollywood. Da bedeutet Sex „sie sinken in die Laken“ - vielleicht noch mit ein paar Anspielungen davor oder mit einem sich biegenden Rücken.

  • Romantik. Da wird ewig geflirtet, aber es passiert nie was.

  • Softcore. Da wird der weibliche Körper bis zum Exzess beschrieben.

  • Hardcore. Da klatscht Fleisch auf Fleisch und lange Dinge werden gerieben und in Öffnungen geschoben.

Wir haben allerdings kaum Vorbilder zu Sexualität als etwas normales. Z.B. 5 normale Arten, wie ein Paar sich erst gegenseitig anheizt¹, dann sich körperlich nahe kommt, Geschlechtsverkehr hat und die Intimität ausklingen lässt.

¹: Wisst ihr ein besseres Wort als „anheizt“? Schon alleine dass ich das fragen muss, ist Teil des Problems…

Im Kampf habe ich Bilder im Kopf von dem Ninja und dem Barbar, und von dem ehrenhaften Krieger, dem kleinen Goblin, dem Schützen, dem Straßensamurai, dem Wolfsrudel, dem Oger und vielen mehr. Und meine Spieler und Spielerinnen haben das auch.

Entsprechend kann ich im Kampf diese Bilder einfach benutzen, ohne dass sie sofort mit mir selbst assoziiert werden.

Bei Sexualität ist das anders. Ich kenne über 50 Arten, wie ein Kampf beginnen kann, aber nur etwa 3 Arten, wie sich ein Mann in einer halbwegs normalen Situation einer Frau nähern kann, die ihn interessiert: Die Antithese (chauvinistisches Arsch), „einfach ich selbst sein und mein Interesse ignorieren, aber offen bleiben“ (das war ich, bevor ich meine Frau kennengelernt habe - wie ich jetzt bin kann ich nicht einmal erklären, auch nicht nach den 10 Jahren, die wir nun zusammen sind) und Anime-Jungfrauen-Stil (der schüchterne Mann, der schon Panik kriegt, wenn er auch nur eine Spur nackter Haut sieht).

Fernsehen und Bücher helfen mir da auch recht wenig, weil sich Sexualität darin fast immer aus Situationen ergibt, aber nicht von den Personen kommt. Irgendwie kann da jeder und jede zu Sex kommen, wenn die Situation es grade braucht. Und dann ist das halt so. Und wird irgendwie zum Gutteil ausgeblendet (oder abgeblendet). Oder der gesamte Spannungsbogen dreht sich darum, dass zwei Charaktere zusammen sein möchten aber nicht zusammenkommen (aktuell: Castle). Aber Sexualität ist nie etwas normales. Kampf dagegen schon, zumindest im Action-Genre - und auch sonst gibt es in fast jeder Serie mindestens Prügeleien.

Entsprechend ist ein Spiel, in dem Sexualität vorkommt, fast immer erkundend: Wir müssen erst neue Muster finden, und entsprechend sind die Muster, die wir erschaffen, viel stärker mit uns selbst assoziiert.

„Wir sind Helden“ haben gesungen „die Deutschen flirten sehr subtil“. Vielleicht war das noch zu nett.

Bound by Love2Fragt mal eure verheirateten Freunde oder Freundinnen, wie sie mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin Zärtlichkeiten austauschen - und wartet auf die langen oder empörten Gesichter. Dann fragt sie, was sie mit jemandem machen würden, der ihren Partner oder ihre Partnerin verletzt hat. Oder was sie machen würden, wenn sie jemand angreift. Das ist für die meisten viel einfacher (zumindest für die meisten, die ich kenne).

Normale Sexualität ist in unserer Gesellschaft zutiefst taubisiert - obwohl wir ständig mit überhöht sexuell aufgeladenem Material konfrontiert werden - oder gerade deswegen. Ich bin mir sicher, es gibt soziologische Abhandlungen dazu…

Worauf ich mit dem ganzen hinaus will: Normale Sexualität ist so stark tabuisiert, dass die Wahrscheinlichkeit extrem groß ist, dass in einer Rollenpiel mindestens eine Person dabei ist, die nur wenige archetypische Bilder zu normaler Sexualität im Kopf hat - oder für die Sexualität ein schwieriges Thema ist (ganz zu schweigen davon, dass vermutlich 10% der Leute hierzulande sexuelle Gewalt erlebt haben).

Bei der „wir kämpfen um zu töten“-Gewalt sieht das anders aus. Dazu haben wir massenweise Literatur.² Entsprechend ist Sexualität im Rollenspiel schon alleine von den Vorraussetzungen her, die die Beteiligten mitbringen, etwas völlig anderes als Kämpfe. Wir haben dazu viel weniger vorgefertigte Bilder und dadurch können wir viel schwerer eine von uns selbst abgelöste fiktionale Situation erschaffen.

²: Wieder anders ist das bei der „wir kämpfen um soziale Macht auszuüben“-Gewalt. Die ist meiner Erfahrung nach im Vergleich zum Kämpfen um zu töten wieder ein schwieriges Thema. Weswegen regen sich wohl Leute darüber auf, wenn ein anderen NSC sagt „wir machen jetzt das, sonst schlage ich dich“, nicht aber, wenn ein NSC versucht, die Charaktere zu töten.

Wir können jetzt natürlich sagen „das ist ein Missstand, den wir durch Rollenspiele beheben können“, aber da müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass das dann eben gemeinsame Erkundung ist - und entsprechend eben kein lockeres „wir spielen jetzt auch Verführungen aus“.

Erstes Fazit

… ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nicht so konkret und tiefgehend über das Thema nachgedacht wie hier… verdammt spannend - und kompliziert. Ich hoffe, ich konnte euch trotz des länglichen Textes ein paar neue Ideen dazu vermitteln - auch dazu, wo Schwierigkeiten liegen können, die wir beachten sollten, wenn wir Sexualität in das Spiel aufnehmen wollen.

Zwei Jahre später

Es ist jetzt zwei Jahre her, dass ich diesen Text ursprünglich geschrieben habe, und ich kann noch einen Rückblick dazu geben.

Durch die Runde hat sich unsere Gruppe nicht fundamental geändert. Wir haben etwas tieferes Verständnis gewonnen, aber auch heute spielen wir gerne lockere Gewaltexzesse, und wir sind dadurch weder zu einer reinen Moraltruppe geworden noch zu einem Kreis SM-Fetischisten. Die meisten Runden sind wie vorher.

Aber manches ist eben doch intensiver geworden.

Die Liebessklavin, die dem Charakter der Spielerin geschenkt wurde, hat sich bei der Flucht der Charaktere aus der Herrenrunde auf das Schiff der Charaktere geschlichen, denn sie sieht sich als Besitz des Charakters. Sie heißt Kerani, ist auf der Machtstufe der anderen Charaktere erschaffen und hat den Nachteil „Gehorsam“. Ihr „Besitzer“ (der Ranmex „Neminis“) versucht, ihr zu helfen, ihren eigenen Willen und ein neues Selbstbild zu finden. Aber das ist ein langer Prozess, und er kann Rückschläge erleiden - oder zumindest etwas, das wie Rückschläge wirkt.

Die letzte Runde: Sexualität, Macht und moralisches Glatteis

In der letzten Runde hatten wir eine Situation, von der ich später erkannt habe, dass sie über die Grenze hinaus ging, die wir für die erste Runde definiert hatten: Neminis hat sich völlig betrunken und kam Nachts zurück. Ich sagte der Spielerin „ich kann jetzt wirklich böse sein. Soll ich?“. Sie bejahte, und ich ließ Kerani Neminis so begrüßen, wie sie es gelernt hatte - und ließ die Spielerin würfeln, ob ihr Charakter seinen Moralvorstellungen folgt oder den Künsten Keranis erliegt, es also nicht schafft, ihr zu befehlen aufzuhören.

Ich bin davon noch einmal zurückgeschreckt, habe die Szene ausblenden lassen und der Spielerin gesagt, dass sie selbst entscheiden kann, was passiert ist. Neminis hatte keine Erinnerung an den Rest der Nacht. Als sie dann aber inplay versucht hat, herauszufinden, was passiert ist, wurde mir klar, dass sie von mir erwartete, die Entscheidung zu treffen. Also war Neminis am nächsten Morgen völlig entspannt, frisch geduscht und hatte keine Spur eines Katers. Kerani war nicht zu sehen, war aber seit zwei Stunden wieder auf ihrem Quartier. Den Bordarzt zu bitten, zu untersuchen, ob er und Kerani Sex hatten, war Neminis dann zu peinlich, also weiß er nicht wirklich, was passierte. Wir als Spielende wissen es allerdings, weil wir das Ergebnis des Wurfes kennen.

Später haben die Charaktere versucht, Kerani als Köder zu nutzen, um einen Schmuggler aus seiner sicheren Umgebung zu locken. Sie sollte unsicher wirken, um ihn zu verlocken, ihn aber auf Abstand halten (ich habe mir den Befehl aufgeschrieben, um sicher sein zu können, dass ich ihm wirklich folge). Nach etwas Nachdenken habe ich die spannendste Variante dafür gefunden: Kerani hielt ihn auf Abstand, indem sie zum Ende des Gespräches sagte, dass sie Neminis gehört. Das sorgte dafür, dass sich die Charaktere wieder selbst um die Lösung des Plots kümmern mussten - und dass der Schmuggler anbot, Kerani zu kaufen. Und viel anbot. Ich glaube, dass erst da die Charaktere realisiert haben, dass wenn sie Kerani verkaufen oder sonstwie als Ware weitergeben würden, Kerani das akzeptieren würde. Und sie sie dann für immer verloren hätten, weil jemand anders sie nicht wieder gehen lassen würde. Ich glaube, dass sie da erkannt haben, wie weit sie auf moralischem Glatteis laufen, wenn Kerani dabei ist.

(Ich sage hier Moral und nicht Ethik, weil es das ist, an dem wir hier kratzen: Unsere persönlichen Moralvorstellungen als Teil unseres Selbstbildes.)

Sie haben danach immer wieder versucht, Kerani zu fragen, was sie selbst will. Was nicht gelang: Sie wollte natürlich, was Neminis will. Zum Ende der Runde zeigte sie allerdings eine Spur eigenen Willen: Sie drängte Neminis, zu sagen, dass sie ihm gehört. Als er das endlich tat, antwortete sie „dann bin ich sicher“. Ich hatte vorher überlegt, wie man es schaffen kann, dass Menschen wirklich jede Spur von Freiheit aufgeben. Die Lösung, die ich selbst verstehen konnte, war, dass Kerani panische Angst davor hat, keinen Besitzer zu haben, weil sie darauf konditioniert wurde, dass keinen Besitzer zu haben bedeutet, dass sie Freiwild für Alle ist.

Kerani hat nach der Runde mit einem Teil der Erfahrungspunkte ihren Gehorsam gesenkt. Und ihren Beruf „Sexsklavin“ gesteigert. Was genauso ambivalent ist, wie der gesamte Ablauf der Runde.

Abschluss

Das Beispiel sollte zeigen, wie sehr wir an eigene Grenzen gehen, wenn wir Sexualität ernsthaft in die Runde integrieren.

Die dunklen Seiten von Sexualität führten zu Macht über Andere in einem Gebiet, in dem uns selbst unwohl werden kann. Wäre Kerani einfach nur eine Sklavin in einem Spiel, in dem Sexualität komplett ausgeklammert, abstrahiert oder oberflächlich ist, würde ihr fast absoluter Gehorsam bei weitem schwächere Reaktionen bei den Spielenden auslösen, weil er nicht so nahe an der eigenen Psyche kratzen würde.

Vor der letzten Runde hatte niemand ernsthaft versucht, Keranis Gehorsam auszunutzen, auch wenn ein Charakter einmal entsprechend Kommentierte, der explizit verantwortungslos handeln soll, aber der konnte es nicht, weil Neminis Kerani nie befohlen hätte, ihm zu gehorchen - und sein Spieler wusste das. In der letzten Runde hatten sie glaube ich nicht wirklich erkannt, wie heftig das werden kann. Sollte es jemand wirklich versuchen, wird das für mich wahrscheinlich ein Tanz auf dem Messer, um gleichzeitig auf die Grenzen aller Beteiligten zu achten, die maximal mögliche Intensität der Situation zu finden und auch auf die Grenzen meiner eigenen Psyche zu achten. Verdammt spannend und intensiv, aber auf seine eigene Art gefährlich.

Denn anders als Gewalt ist Sexualität tief im eigenen Selbstbild verankert, und sie zu behandeln verwischt die Grenzen zwischen Spielenden und Charakteren - womit wir wieder beim Thema sind.

Um das Thema vorläufig abzuschließen, können wir die Besonderheit von Sexualität im Spiel auf die Spitze treiben, indem wir von Sinnlichkeit sprechen - einem Aspekt der Sexualität, der sich kaum abstrahieren lässt.

Und damit möchte ich euch zwei Fragen auf den Weg geben:

Wie wirklich ist vorgestellte Sexualität, wenn das Erlebnis von körperlichem Sex zu einem großen Teil in der Vorstellung geformt wird?

Wie weit kann ich es wagen, mit Spielenden zu interagieren, ohne emotionale Reaktionen bei mir oder Anderen hervorzurufen, die die Spielrunde oder die Stabilität unserer wirklichen Leben gefährden?

Viel Spaß beim Spielen (mit euren Grenzen)!

Und bei allem Spaß am Experimentieren: Gebt aufeinander Acht.

Melem hat einen Kommentar zu diesem Text geschrieben und mir erlaubt, ihn auch hier veröffentlichen: Sexualität, Macht, Verant­­wortung

Ein weiterer Text zum Thema ist: Männliche Lust, immernoch ein Tabu


  1. Das Bild Bound by Love wurde für WTactics gezeichnet und ist lizensiert unter GPLv3+.3 

  2. Das Bild Pirate Bernadette wurde von Mike Perry für den No Dice Comic gezeichnet und ist lizensiert unter GPLv3+. 

  3. Ich verwende hier nur Bilder von Frauen, weil ich keine GPL lizensierten Bilder von verschieden geschlechtlichen Paaren zur Hand habe, und weil das Bild von zwei Männern von der Zeichenqualität her weit hinter den anderen Bildern zurückfällt. Auch das sagt etwas zur aktuellen Tabuisierung von Sexualität aus - obwohl es auf Deviantart und Fanfiktion einige gibt, die versuchen, diese Tabuisierung zu durchbrechen - so wie Künstler das zu allen Zeiten getan haben (leider mit wechselhaftem Erfolg). 

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Bild von Entropy

Wisst ihr ein besseres Wort

  • Wisst ihr ein besseres Wort als „anheizt“?

Antörnen oder anmachen (die "Anmache" zielt ja durchaus darauf ab Paarungsbereitschaft zu signalisieren, aber wird wohl je nach Kontext falsch aufgefasst); etwas sachlicher: "sexuell in Stimmung bringen"

  • Wie wirklich ist vorgestellte Sexualität, wenn das Erlebnis von körperlichem Sex zu einem großen Teil in der Vorstellung geformt wird?

Das ist Definitionssache. Was ist Sex? Sehr genau gesehen: Nur der echte Fortpflanzungsakt, da fallen viele andere Praktiken außen vor. So gesehen ist die vorgestellte Sexualität nicht wirklich. Erweitert man die Definition auf Bedürfnisbefriedigung, dann wäre die gespielte Sexualität auch nicht wirklich. Daher würde ich sagen: Sie ist weniger bis gar nicht wirklich.

Sehr empfindliche Menschen, mag das aber dennoch stören. Das liegt dann aber an der Intimsphäre. Redet man über Sexualität gibt man meist einen Teil seiner Intimsphäre preis. Da dies etwas ist, was man nur gegenüber sehr wenigen Menschen tut, ist es ungewohnt und kann dazu führen, dass man das Spiel - auch wenn es imho um nicht wirkliche Sexualität geht - ablehnt. Das gilt insbesondere, wenn man sich stark mit seinem Spielercharakter identifiziert und die Person Angst hat man könnte ihre Intimsphäre verletzen wenn dem Spielercharakter das gleiche widerfährt.

  • Wie weit kann ich es wagen, mit Spielenden zu interagieren, ohne emotionale Reaktionen bei mir oder Anderen hervorzurufen, die die Spielrunde oder die Stabilität unserer wirklichen Leben gefährden?

Nicht sehr weit. Ich meine Vertrauen zwischen Spielern mag die Grenze verschieben, aber es wird wohl nie über "Hollywood" und "Romantik" hinausgehen. Das ist auch gut so, denn so entsteht in den Köpfen der Spieler das Bild. Alles was konkret beschrieben würde, würde verstören, da "guter/schlechter/'böser' Sex" wohl auch für die meisten Leute eine sehr individuelle Erfahrung ist. Ich würde nicht wollen, dass die Spieler dann über meine Spielleitervorstellungen von der jeweiligen Situation reden.

Einfaches Beispiel: Eine Person könnte sich niemals im gefesselten Zustand mit Handschellen jemandem hingeben und hält das für Abartig oder zumindest für Sado-Maso. Für ein anderes Paar mag das normal und lustig sein, würden sich aber nie als SM einordnen.

Da die Grenzen so fließend sind, würde ich versuchen mich von diesen fernzuhalten. Oder zumindest nicht zum Fokus der Handlung zu machen, so dass jeder sein Empfinden darüber nicht Ausdruck bringen muss.

Bild von Drak

heizen, erleben, vereinen

Antörnen geht schon eher in die Richtung, klingt aber auch nicht wirklich richtig. Anmachen dagegen ist negativ belegt („blöde Anmache“).

Bei Körperlich und Hirnsache bist du auf die Definition des Sex eingegangen, und insofern hast du Recht. Worauf ich aber hinauswill ist explizit das Erleben des Sex. Und das hängt extrem von der Vorstellung ab - in der ganzen Spannbreite von „ich hab keine Lust / ich bekomm keinen hoch“ über „ich weiß, wir sollten das heute nicht, aber…“ bis hin zu völliger Extase.

Wenn hier die Vorstellung so viel ausmacht, wie wirklich ist dann etwas, in dem der körperliche Aspekt wegfällt?

Und wenn ich mir anschaue, wie viel Porn geschaut wird und wie viele erotische Geschichten es gibt, denke ich, dass schon alleine die Vorstellung stark ist - weswegen mMn Vorsicht angebracht ist: Wenn wir so tief gehen, können wir Wirkungen erzielen, die wir vielleicht nicht geplant hatten.

es wird wohl nie über "Hollywood" und "Romantik" hinausgehen

Da waren wir ehrlich gesagt in manchen Runden schon weiter ☺

Ich denke allerdings, dass Sexualität im Rollenspiel ein hohes Maß an Achtsamkeit von und gegenüber allen Beteiligten braucht: Die Grenzen sind fließend, daher müssen wir so Aufmerksam sein, dass wir es merken, wenn wir an die Grenzen auch nur eines oder einer einzelnen Teilnehmenden kommen, damit wir schnell genug zurück können.

Und das geht viel leichter in kleinen Runden mit 2 oder 3 Leuten.

Bild von Entropy

Ich gebe zu, dass mein Post

Ich gebe zu, dass mein Post oben das sehr rational betrachtet. Auf der anderen Seite kann man fragen: Sind Gedanken real? Ja, derjenige der sie denkt, für den sind sie real, auch wenn sie sich nicht physikalisch manifestieren.

Ich glaube da kommt einfach zu viel persönliche Erfahrung ins Spiel, um das abschließend zu beurteilen. In sofern gilt: Je besser sich eine Gruppe kennt, desto besser kann man sich in Grenzgebiete vorwagen (oder eben davon absehen).

Vor anzüglichen Situationen oder zotigen Kommentaren schreckt bei uns auch eigentlich auch niemand zurück; aber es wird halt definitiv nicht Hard-Core - das meiste spielt sich im Kopf der Spieler und ihrem Spielleiter ab.

Bild von Drak

Ich würde sagen, dass

Ich würde sagen, dass Gedanken real sind: Sie beruhen auf realen Veränderungen in der Struktur des Gehirns. Mit der persönlichen Erfahrung hast du trotzdem Recht ☺

Hardcore haben wir auch noch nicht gespielt - und plane ich auch bisher nicht zu spielen. Über Hollywood “wir reden von allem, aber so, dass wir drüber lachen können” darf es aber gerne hinausgehen.

Bild von Drak

Extremsituationen und Kagematsu

Die folgenden Kommentare stammen von G+.

Tim Franzke:

Konnte das Ende des Artikels nicht mehr lesen (müde und komme gerade aus einer schlechten Rollenspielrunde) aber es fällt mir vor allem auf, dass es eine "Extremsituation" brauchte damit Sex irgendwie im Rollenspiel vorkam. Dabei ist es wesentlich alltäglicher als viele andere Situationen die im Rollenspiel vorkommen. Ich persönlich bin großer Freund von Rollenspielen in denen Sex durchaus eine Rolle spielt und wenn man das vorsichtig angeht kann das auch gut funktionieren. Für ein System, dass diese Annäherung und "Eskalation" gut darstellt kann ich dir Kagematsu empfehlen. Dies hat verschiedene Stufen der Intimität, sowohl auf körperlicher als auch auf sozialer/romantischer Ebene so das man sich langsam dahin vorarbeitet. Ich habe das auf einer Con mit 2 Fremden (einen kannte ich über G+) und meiner Freundin gespielt und das funktionierte wunderbar. War eine sehr starke Erfahrung.

Um andere "wie nähert sich Mann einer potentiellen Partner/Partnerin" Muster auszuprobieren kann man ebenso Monsterhearts nehmen da Sexualität in allen möglichen Arten (ebenso wie Enthaltsamkeit etc.) darin thematisiert wird. 

Arne Babenhauserheide

+Tim Franzke Das mit der Extremsituation stimmt. Sie sorgte dafür, dass Sex als Thema eine besondere Dichte bekam, aus der ein Ausbrechen durch Trivialisierung nicht einfach möglich war.

Monsterhearts will ich seit längerem testen, wir sind aber leider noch nicht dazu gekommen. Kagematsu kenne ich noch nicht. Meinst du das hier? https://sites.google.com/site/creamaliengames/Home/kagematsu-the-rpg

(Schade, dass deine Runde schlecht lief - ich hoffe, ihr könnt die Erfahrung nutzen, um die nächsten Runden zu verbessern!)

Arne Babenhauserheide

+Tim Franzke Danke! (habe Kagematsu gerade als PDF gekauft)

Tim Franzke

Warnung! Das ist ein recht spezielles Spiel, muss man sich drauf einlassen. Funktioniert aber wunderbar. 

Arne Babenhauserheide

+Tim Franzke Ich werde es erstmal lesen ☺

Als ich vor ein paar Monaten in meiner regulären Runde mal Monsterhearts angesprochen hatte, waren die Reaktionen zu gespalten, um es zu spielen (wir müssen warten, bis (zufällig) nur die richtigen Leute dafür Zeit haben).

Tim Franzke

Ich bin immer für Monsterhearts zu haben. 

Arne Babenhauserheide

+Tim Franzke Wir sind halt im Raum Karlsruhe…

Falk Flak

mmh, um in dem Thema weiterzukommn, müsste man sich eher anschauen, wieso es in unserer Gesellschaft mit Samthandschuhen angefasst wird, denn schlussendlich äffen wir im RPG nur das nach, was wir im Alltag kennengelernt haben (und wovor man uns Angst macht, meiden wir).

Dagegen gibt es natürlich immer quergänger. Die haben entsprechend null Probleme damit und für die ist Sexualität oder die Moral dahinter auch nicht so eine große Sache, wie sie auch hier mal wieder aufgebauscht wird (was wohl ein Teil des Problems ist). Orks platt zu hauen ist schließlich auch nicht "unproblematisch".

Ich tue mich ja auch schwer damit, erkläre mir das aber durch den sozialen Brainwash und nicht damit, dass das Thema sonderlich komplexer ist als Andere.

Arne Babenhauserheide

+Falk Flak ich erkläre einen Teil des Unterschieds damit, dass kaum jemand von uns Leute kennt, deren Freunde von Leuten auf Schatzsuche platt gehauen wurden, während statistisch wir alle Leute kennen, die sexuelle Gewalt erlebt haben (unter der Annahme von 20 engeren Kontakten).

Wenn du eine Geschichte erzählst, und plötzlich jemand psychisch zusammenbricht, weil ein altes Trauma hochkommt, bist du das nächste mal wahrscheinlich viel vorsichtiger (und/oder hast einen Freund verloren).

Gerade unter Leuten, die gerne zum Spaß über Sex reden, habe ich bisher die größten Probleme mit einer ernsthaften Beschäftigung damit bemerkt: Lache über das, mit dem du nicht klarkommst, damit du dich nicht tiefer damit beschäftigen musst.

Falk Flak

Ich glaube zwar nicht, dass der Unterschied in der Handhabung der Themen auf reiner Rücksichtnahme zu den Mitspielern und Mitmenschen beruht, aber ich stimme dir zu - bzw. habe es ja selbst geschrieben - dass der Unterschied in der Handhabe im Alltag, in der Öffentlichkeit, gründet. Und da ist es so, dass Sexualität eben NICHT öffentlich stattfindet, Gewalt aber sehr wohl.

Zumal man auch fragen kann: Die Leute, die kein Trauma erlebt haben (m.E. die übergroße Mehrheit), warum sollten die sich tiefgehender damit beschäftigen wenn nicht gerade ein persönliches Interesse vorherrscht? Fantasy ist doch da viel leichter handhabbar ;)

Arne Babenhauserheide

+Falk Flak Wieso sich Leute tiefgehender mit Sexualität beschäftigen sollten lässt sich als Frage für alle anderen Themen im Rollenspiel auch stellen. Warum sollten Leute kämpfen, verhandeln, reisen, usw.?

Und Sexualität findet doch in zensierter Form in der Öffentlichkeit ständig statt: Die echte Welt ist voller Andeutungen, Aufrufen und Versuchungen zu Sex - nur Sexualität als normalen Teil des Lebens zu leben ist Tabuisiert (und wird deswegen immer wieder skandalisiert). Sexualität ist im täglichen Medienleben ständig präsent, aber kaum mal realistisch gezeigt. Und es gibt wenige Leute, die mehr als eine Handvoll Partner oder Partnerinnen hatten, also sind persönliche Erfahrungen ähnlich begrenzt wie bei Gewalt.

So groß ist die Mehrheit übrigens nicht, die kein Trauma erlebt hat. In Deutschland haben knapp 9% der Frauen sexuelle Gewalt erlebt - und in den USA 15-25%. Wenn du drei Frauen in der Runde hast, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine von ihnen Sexuelle Gewalt erlebt hat, schon knapp 30%. http://de.wikipedia.org/wiki/Vergewaltigung#H.C3.A4ufigkeit_von_Vergewaltigungen

Falk Flak

zensiert, angedeutet, tabuisiert. skandalisiert. Eben, es findet NICHT öffentlich oder lies "offen" statt.

p.S: Ich glaube keinen Statistiken, die ich nicht selbst gefälscht habe. Ich will es nicht leugnen, mir fehlt aber die Zeit (und Lust) mir die Untersuchungen genau anzugucken um damit zu argumentieren, daher sind solche %-Zahlen als Argument erstmal nicht viel wert.

Arne Babenhauserheide

+Falk Flak bei nicht „offen“ stimme ich dir zu. Sexualität ist heutzutage extrem öffentlich, aber nicht offen.

Zu den Statistiken: Du hast von einer „übergroßen Mehrheit“ gesprochen. Das ist eine Interpretation der Statistik über die Anzahl der Betroffenen. Deswegen habe ich dir den Link gegeben: Deine Aussage wird von den Daten nicht gedeckt.

Tim Franzke

Wobei 50 Shades doch zu einem heftigen Anstieg im Verkauf von Erotika geführt hat und das lesen solcher in der Öffentlichkeit anerkannter gemacht hat. 

Bild von Drak

Liebe im Rollenspiel auf Teilzeithelden

Ich habe gerade einen Artikel zum Thema auf Teilzeithelden von 2011 gefunden:

Liebe, Sex und Zärtlichkeit im Rollenspiel

Es ist ein Erfahrungsbericht, wenn auch mit mehr Abstand als unser Text hier. Ich finde ihn lesenswert.

anheizen

scharfmachen aufgeilen ... erregen? ^^

(Bin gerade über die taz hier gelandet. Ist ja schon bissl älter der Artikel hier.)

Bild von Drak

Danke für deine

Danke für deine Ideen!

"scharfmachen" könnte ich mir in manchen Texten vorstellen.

Erregen wirkt unklar (ich bin nicht sicher, warum) und aufgeilen geht meinem Gefühl nach nur in wenigen Kontexten (wenn die "literarischen Filter" schon etwas gelockert sind :) ).

Tut mir Leid, dass auch hier der Spamfilter angeschlagen hat. Trotzdem willkommen auf 1w6!

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„Das EWS ist ein rundum gelun­ge­nes Sys­tem, wenn es darum geht, mit ein­fa­chen Regeln eine Rol­len­spiel­runde aus dem Boden zu stamp­fen.“
— Tim Charzinski in der Rezension bei den Teil­zeit­helden
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