Es gibt keine Alternative zum Konflikt.
Ich schaue gerne Farscape und habe dabei bemerkt, dass wir die Möglichkeit von unausweichlichen Konflikten beim Spielen schon häufiger vergessen haben, sie allerdings in Farscape meisterhaft genutzt wird:
Aeryn Sun kann nicht einfach bei den Peacekeepern bleiben, denn dort droht ihr die Todesstrafe. Ansonsten wäre sie sofort zurück. Selbst so wollte sie fast sterben, ist aber dann den Weg zum Konflikt gegangen.
Crichton wurde gleich von Anfang an jede Option genommen, das Schiff zu verlassen. Direkter Anfangsplot: Crichton bringt den Konflikt für alle mit, denn er tötet ungewollt den Bruder von Grais.
Die anderen sind alle Gefangene und Gejagte. Das Schiff ist ihre einzige Chance auf Freiheit.
Dadurch dass sie auf diese Art zusammengezwungen werden, gibt es keine Alternative zu interpersonellen Konflikten, und jemanden auszustoßen ist beinahe unmöglich, weil jeder irgendwie gebraucht wird.
Dass jeder gebraucht wird zeigt dabei schon die erste Folge, für jeden einzelnen:
Zhaan hackt und deeskaliert, D'Argo zeigt, dass er kämpfen (und Aeryn in Schach halten) kann, von Rygel wird erzählt, dass er die Wachen bestochen hat und gezeigt, dass er handeln kann, Crichton zeigt seine Methode des Atmosphärensurfens und Aeryn kennt als einzige die Peacekeeper wirklich.
Dadurch sind die Charaktere auf engstem Raum zusammen und müssen miteinander auskommen.
Dadurch gibt es keine Alternative zu den gemeinsamen Abenteuern, und
Es gibt keine Alternative zur Charakterentwicklung.
Die meisten guten Abenteuer in Filmen helfen nun, diese Charakterentwicklung voranzutreiben, entweder dadurch, dass sie die Konflikte der Charaktere mit sich selbst und untereinander anheizen, oder dadurch, dass sie den Charakteren ein stärkeres Gruppengefühl geben und es ihnen ermöglichen, auch von den anderen zu lernen.
Rollenspiele unterscheiden sich von Filmen allerdings grundlegend. Denn in ihnen kommen nicht nur einige Charaktere zusammen, die Konflikte brauchen, um interessant zu sein, sondern es sitzen außerdem Spieler am Tisch, die alle ihre eigenen Konflikte mitbringen. Je nachdem wie harmonisch die Runde selbst ist, können Abenteuer stärker auf die Bildung des Gruppengefühls oder mehr auf das Anheizen von Spannung durch Konflikte zwischen den Charakteren ausgerichtet sein, um sie für die Runde möglichst erfüllend zu machen.
Und auch wenn sich dabei ein Charakter nicht direkt weiterentwickelt, kann gerade dieses nicht entwickeln für den Spieler einen wichtigen Ankerpunkt in seiner eigenen Entwicklung geben - er erlebt dabei einen bestimmten Archetyp, den er gerne spielt - d.h. es mach tihm einfach Spaß, seinen Charakter auf diese feste Art zu spielen.
Das Gruppengefühl wird meist am einfachsten erzeugt, wenn die Charaktere gemeinsam gegen eine feindliche Welt kämpfen und sich danach gemeinsame Zeiten der Entspannung gönnen. Das kann "eindeutige" gemeinsame Entspannung sein, oder auch einfach eine gemeinsame Ferienreise, während der sie sich ausquatschen und von dem Stress erholen können.
Um in einem Rollenspiel konfliktreichere Charkterentwicklung zu ermöglichen, sollten (fast) alle Charaktere der Gruppe offensichtlich nützlich sein (und das sollte immer wieder sichtbar werden) und sie dürfen keine Alternative zu der Gruppe haben - oder sollten zumindest einen verdammt guten Grund haben, trotz der Konflikte da zu bleiben.
Außerdem muss es natürlich Konfliktpotenzial geben, zumindest zwischen den Charakteren, deren Spieler Lust auf die Konflikte haben.
Abenteuer können dann diese Konflikte ansprechen, so dass die Charaktere ihre jeweiligen Widersprüche erkunden können.
Im Unterschied zu Filmen, ist es es allerdings meist wichtig, dass nicht jedes Abenteuer die Konflikte der Charaktere anspricht, sondern auch immer wieder Abenteuer kommen, in denen die Charaktere einfach zusammenstehen können.
Der Grund ist, dass im Rollenspiel die Spieler eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die Charaktere. Daher ist ein starkes Gruppengefühl essenziell. Im Gegensatz zum Filmcharakter kann ein Rollenspielcharakter nämlich doch gehen: Wenn es seinem Spieler zu viel Konflikt wird und er die Runde verlässt.
Und denk' auch daran, dass nicht jeder Spieler Lust darauf hat, die Konflikte zu erkunden. Wenn es einem Spieler scheinbar keinen Spaß macht, sprich' ihn doch einfach mal darauf an, und wenn er dein Gefühl bestätigt, dann versuch' seinen Charakter nicht bewusst in Konflikte zu treiben.
Dass ihr es richtig macht merkst du dabei am Besten an einer einzelnen, grundlegenden Beobachtung:
Ihr habt alle Spaß.
Denn mit Freude lernt es sich am besten - selbst wenn es um das Lernen des Charakters geht :)
PS: Das sind meine persönlichen Gedanken. Sie können für dich ebenso falsch wie richtig sein. Für mich erscheinen sie zur Zeit auf jeden Fall richtig. Sollten sie für dich falsch erscheinen, dann schreib' das bitte!
PPS: Das heißt jetzt nicht, dass die SL den Spielerinnen jede Alternative nehmen soll, sondern dass es sinnvoll ist, vor Beginn des Spiels darüber nachzudenken, warum die Charaktere zusammenbleiben und ihre Konflikte gemeinsam austragen.