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Wir wählen unsere Regeln selbst

"Der Unterschied zwischen Rollenspiel und Fußballfans ist, dass Rollenspiele Spielende wissen, dass sie in ihrer Fantasie leben."

Zu dem Blog-Eintrag Disziplinarmechnismen im Rollenspiel [1]:

Nach viel Kritik in den Kommentaren: Ich finde den Artikel klasse! Klar ist Rollenspielen mit Anpassungsdruck verbunden, so wie jede Gruppenaktivität.

Aber anders als die meisten Gruppen sollte das im Rollenspiel eigentlich offensichtlich und allen Beteiligten klar sein. Während in sonstigen Gruppen meistens unter der Oberfläche bestimmte Verhaltensweisen gefördert werden, gibt es beim Rollenspielen explizite Regeln, die von der Gruppe ausgesucht werden. Bei der Auswahl des Regelwerks kommt wohl impliziter Druck mit rein, aber sobald das Regelwerk steht, sind die Regeln klar.

Ich mag in dem Zusammenhang das Zitat "Der Unterschied zwischen Rollenspiel und Fußballfans ist, dass Rollenspiel Spielende wissen, dass sie in ihrer Fantasie leben."

Der Zusammenhang? Die meisten Fußballfans leben in der Fantasie (anderer), ohne dass sie sich darüber im klaren sind, genauso wie in den meisten Gruppen die Gruppenregeln unterbewusst durchgesetzt werden.

In Rollenspielen dagegen sind die Regeln von Anfang an auf (oder unter oder neben) dem Tisch. Und das ist meiner Meinung nach etwas Gutes; dadurch denken Leute nämlich über die Regeln nach, die sie durchsetzen wollen. Und wenn ich mir die meisten Regeln anschaue habe ich das starke Gefühl, dass sie sehr persönlichkeits- und gesellschaftsfördernd sind. Z.B.:

  • Die (gemeinsame) Geschichte weiterbringen = an einem Strang ziehen.
  • Gutes Charakterspiel = die Rolle (für die man sich selbst entschieden hat) wirklich erleben = die Rolle in der Gruppe ernst nehmen = Verantwortung für die eigene Entscheidung übernehmen.
  • Opfer bringen, um Gutes zu tun = Heldin oder Held sein = an der Verbesserung der Gesellschaft arbeiten.
  • Als Gruppe zusammenarbeiten (z.B. durch Gruppenpools u.ä.) = als Gruppe zusammenarbeiten :)
  • Gute Entscheidungen treffen = über eigene Entscheidungen nachdenken.
  • "Monster" töten = Für das "Gute" kämpfen = die Gesellschaft verbessern (im Rollenspiel mit Waffen, außerhalb eben mit anderen Mitteln).
  • Tolle Ideen haben
  • Alle (in passenden Momenten) zum Lachen bringen = etwas Schönes für die Gruppe tun.

Dazu kommt das Erleben einer Geschichte aus einer anderen Perspektive, wodurch man Verhaltensweisen ausprobieren kann (immer im Rahmen der Regeln, also als Fiktion), so dass Lernprozesse möglich sind, die die Realität nicht oder nur eingeschränkt bietet (durch das höhere Risiko und die oft fixe Umgebung - meist sehr lange die gleichen Personen, zumindest bei der Arbeit).

Dass dieses Erleben im Rahmen der Regeln passiert, sorgt dafür, dass Verhaltensweisen, die die Gruppe als negativ ansieht, eher verringert werden. Zumindest bei Spielen, bei denen wir Heldinnen und Helden spielen (aber auch in den meisten anderen Spielen — Stichwort "Konsequenzen").

Und Ausgrenzung am Spieltisch habe ich in dem Rahmen kaum erlebt, eben weil die Regeln so klar sind. Wo in vielen sonstigen Gruppen ein Sündenbock da ist, fällt ein Sündenbock in Rollenspielrunden irgendwann auf, weil die Regeln eben nicht dazu ausgelegt sind, einen Sündenbock zu schaffen, sondern die Spieler eher auszugleichen.

Wobei eine meiner alten Runden glaube ich auch mal einen hatte, und ich bis heute deswegen ein schlechtes Gewissen habe (Stichwort "Krieger Alrik"). Er war oft derjenige, den Scherze getroffen haben, was ich damals aber (noch) nicht gemerkt habe.

Auch er ist zum Zug gekommen, teilweise eben gerade durch die fixen Regeln. Er hat genau wie andere Erfahrungspunkte bekommen und konnte genau wie alle anderen an der Geschichte teilnehmen.

In einer Runde habe ich erlebt, wie ein Spieler vom Spielleiter gegängelt wurde, indem er in Situationen gebracht wurde, in denen ihn gutes Charakterspiel in die Sackgasse manövrierte. Wie haben unter dem Spielleiter nicht allzu lange gespielt (es hat gut angefangen, wurde aber nach etwa der 5. Runde unangenehm -> Tridis - Logbuch einer Drachin [2].)

Sei es wie es sei, ich denke dass Regeln im Rollenspiel, weil sie geschaffen werden, um gemeinsames Spiel zu erleichtern, negativen Gruppendynamik eher auflösen als sie zu verschlimmern.

Dadurch können wir auch immer mal wieder neue Rollen in der Gruppe ausprobieren und so gleichschaltende Effekte auflösen, denn unsere Mitspielerinnen und Mitspieler werden uns hauptsächlich daran messen, wie wir unseren Charakter verkörpern, und nicht nur daran, wie es für sie wäre, wenn wir selbst uns im normalen Leben so verhalten würden.


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Links:
[1] https://web.archive.org/web/20090220033001/http://belchion.supersized.org/archives/30-Disziplinarmechanismen-im-Rollenspiel.html
[2] http://draketo.de/deutsch/rpg/licht/tridis-log